JOHANNA GÜNDEL: MUTIGER + ERFOLGREICHER EINSATZ FÜR EINE MENSCHENFREUNDLICHE GEMEINDE

Solche Nachrichten tun einfach gut und ermutigen uns, an die Veränderungskraft unserer Einzelinitiativen und -aktivitäten zu glauben!

Der Gemeindepräsident der Aargauer Gemeinde  Andreas Glarner wollte, mit Hilfe der offensichtlich reichlich im Überfluss vorhandenen Steuergelder, seine Gemeinde „Flüchtlingsfrei“ kaufen. 290’000 Franken Ersatzzahlung budgetierte er und liess jedes leer stehende Gebäude abreissen, damit ganz sicher kein Platz zu haben wäre.

Die 24 jährige Opponentin und Wortführerin Johanna Gündel gewann die hochemotionale Abstimmung an der Gemeindeversammlung zu Gunsten der Flüchtlinge und erbrachte damit den Beweis, dass „Oberwil-Lieli keine herzlose Gemeinde“ ist.

Mich beflügelt diese Nachricht, weiterhin hartnäckig den Einsatz für die Benachteiligten, die Randständigen weiterzuführen und vor allem auch nicht zu schweigen.

Hier der Artikel im Tagesanzeiger:

Das Herz von Oberwil-Lieli – Schweiz: Standard – tagesanzeiger.ch

Herr Glarner scheint es nicht zu verkraften, dass in einer Demokratie auch andere Meinungen Platz haben müssen und dass niemand einfach über alle Andersdenkenden verfügen kann: Hier der Link zur Replik

Was fürchtet Herr Glarner? – tagesanzeiger

 

Ein ausführlicher Bericht in der WOZ vom 24.3.2016:

Die Entzauberung des Dorfkönigs – woz16_12 Johanna Gündel

DROHNENKRIEGER SIND ANONYME SPRENGSTOFFATTENTÄTER

Brandon Bryant, ehrenvoll entlassener „Drohnenoperateur“ der amerikanischen Armee, erhielt ein Zeugnisdokument  über seine Beteiligung an insgesamt 1626 Tötungen. Darüber und über seinen gesamten „Kriegseinsatz“ ist Brandon unglücklich.

Zusammen mit drei andern Ex-Soldaten schickte er einen Brief ans Weisse Haus, worin sie Drohnentötungen als „Werkzeug“ in den Händen rekrutierender Terroristen bezeichneten. Besonders der Abschuss von Zivilisten nähre „Gefühle des Hasses, welche Terror und Gruppen wie den IS entzünden“

Gerade jetzt, da uns stündlich Nachrichten über die Auswirkungen der Terroranschläge in Paris überschwemmen, kann ich diesen Bericht im Tages Anzeiger nur mit Betroffenheit und Empörung lesen und fragen: Wo ist da letztlich der Unterschied??!!

Ein reuiger Drohnenpilot – News International: Amerika – tagesanzeiger.ch

Katzenmachoautor (1989) als Pegidareferent (2015)

Bei seinem Erscheinen 1989 war der Katzenkrimi „Felidae“ von AKIF PIRINCCI für mich eine Entdeckung. Die Idee, eine kaputte Welt aus der Sicht des ebenso kaputten Macho-Katers Francis darzustellen und vor allem uns Männern damit einen Spiegel vorzuhalten, faszinierte mich. Ich fand den Krimi spannend und geeignet, in meiner Bibliothek „Patriarchatskritische Männerliteratur“ (A040) zur Auseinandersetzung einzuladen.

Der Roman regte auch feministische Autorinnen zu Stellungnahmen und Kritik an. Stellvertretend die Meinung von EMMA: Pirinçci hat sich mit den Felidae-Romanen „sensibel in die Katzenseele“ eingefühlt, es mangelt ihm jedoch an Empathie für Frauen.

Seit Oktober 2015 bin ich nun mit einem ganz andern AKIF PIRINCCI konfrontiert. Zum Jahrestag der PEGIDA-Demonstrationen am 19. Oktober 2015 in Dresden trat er als „Stargast“ auf. Seit dieser Rede ist Pirinçci nicht mehr der Krimiautor sondern der „KZ-Redner“

Der Wortlaut des extremsten Teils seiner Rede: „Offenkundig scheint man bei der Macht [konkret bezogen auf einen namentlich genannten, für Flüchtlingsunterbringung zuständigen Regierungspräsidenten] die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. [Pause, Beifall vom Publikum, „Widerstand“-Rufe] Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb. [Beifall vom Publikum]

Pirinçci bezeichnete in seiner Rede Politiker außerdem als „Gauleiter gegen das eigene Volk“, das heutige Deutschland als „Scheißstaat“ und Asylbewerberinnen als „flüchtende Schlampen“. Muslime würden „Ungläubige mit ihrem Moslemsaft vollpumpen“, es drohe eine „Moslemmüllhalde“ in Deutschland. Bündnis 90/Die Grünen nannte er eine „Kinderfickerpartei“ und den Sprecher der Erfurter Moschee einen „Moslemfritzen mit Talibanbart“, der mit der deutschen Kultur so viel gemein habe „wie mein Arschloch mit Parfümherstellung“.

 Was ist mit diesem Mann los: Ein äusserst erfolgreicher Krimischriftsteller, als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus der Türkei eingewandert und offensichtlich ein erfolgreiches Beispiel gelungener Integration, entpuppt sich als Hass-Schreier ausser Kontrolle!?

Im SPIEGEL 46-2015 versucht Jan Fleischhauer dieser Frage nachzugehen und die irritierende Selbstzerstörung eines Mannes einfühlsam zu beschreiben. Ich lese diesen hervorragenden Artikel mit grossem Respekt und Gewinn und bin betroffen über die destruktiven Folgen verdrängter und überspielter Verletzungen im Leben eines Mitmenschen. Bezeichnenderweise trägt der Beitrag den Titel „Der Aussätzige“ – Akif Pirinçci brachte es mit Katzenromanen zu Ruhm und Reichtum. Jetzt ist er nur noch der Autor mit der „KZ-Rede“. Wie konnte es so weit kommen? (Der Aussätzige – SPIEGEL2015_46 Akio Pirinçci)

Der Autor verfolgt die Entwicklung des jugendlichen Pirinçci zum „Berserker“ vom Oktober 2015: Der Junge, der mit seinen Eltern immigrierte, war fast ausschliesslich sich selbst überlassen. 12 Stunden am Tag waren beide Eltern fort, inklusive Samstag. Ein Schlüsselkind, welches irgendwie herausfinden musste, wie die fremde Welt um ihn herum funktionierte. Einziger Ausländer in der Klasse, von schmächtiger Gestalt, flüchtete Akif in die Welt der Bücher und Filme. Nur den Hauptschulabschluss schaffte er. Er fand einfach keine Zeit zu lernen, denn er musste schreiben. Mit 14 brachte er das Script eines Kurzfilms zum „Aussenseiterproblem“ beim Bayrischen Rundfunk unter; mit 16 gewann er für ein Hörspiel einen Preis des Hessischen Rundfunks und mit 20 war sein erster Roman auf dem Markt.

Mit seinen Felidae-Krimis wurde er berühmt und reich; mit Facebook, bei dem er vor 5 Jahren sein Profil zulegte, entdeckte er eine Wirkung seiner Beiträge, die er von seinen Büchern her nicht kannte: persönlich, direkt und sehr emotional. Aus dem Romanautor entwickelt sich der Berserker Pirinçci. Hier kann er ausprobieren, was funktioniert. Er lässt sich durch die Kommentare buchstäblich aufgeilen und er lernt, dass die Zustimmung wächst, je ordinärer und zotiger er auftritt.

Es macht ihm Spaß, Menschen zu provozieren, um zu sehen, wie sie reagieren. Dazu kommt ein ausgeprägtes Faible für das Drastische. Über eine Facebook-Freundin lässt sich Pirinçci für die folgenreiche Festrede überreden und seitdem ist alles anders: Er ist ein Ausgestossener: niemand will etwas mit ihm zu tun haben: Gastwirte verweigern seine Bewirtung; Buchverlage und Buchvertriebe nahmen seine Bücher vom Angebot. Als Autor existiert er nicht mehr.

Jedoch, Pirinçci ist nicht nur Ausgestossener, er ist auch Sündenbock einer selbstgerechten, überheblichen und selbstverleugnenden Gesellschaft. In dem man ihn vernichtet, ausgrenzt, vermeint man, sich nicht mit dem eigenen Anteil an Menschenverachtung, dem unterschwelligen Rassenhass und der Fremdenfeindlichkeit und letztlich der eigenen Angst vor dem Fremden, auseinandersetzen zu müssen.

Ich bin dem Autor Jan Fleischhauer dankbar für die sorgfältige Mikrostudie unserer Gesellschaft und den Spiegel, in dem wir viel zu selten bewusst uns selber anschauen.

Verzeihen – nicht vergessen! Franz Thaler, Südtiroler“ Widerständler“

Dieses Interview mit Franz Thaler, (Interview_Franz Thaler) hat mich sehr berührt und gleichzeitig auch auf verschiedensten Ebenen zu einer kritischen Auseinandersetzung angeregt.

Ich bin erschüttert, wie dieser gebrochene Mann, tapfer bis zu seinem Tod, seinen Schmerz unterdrücken, verlagern und umformen muss, um überhaupt zu überleben. Über ein Stottern, ein unbeholfenes Sprachesuchen, kommt er nicht mehr hinaus. Seine Worte sind wahrhaftig, aber nur dem / der wirklich Offenen zugänglich und sie erreichen in ihrer tiefen Bedeutung nur die Zugewandten und Sensiblen. „Wer es fassen kann, der fasse es“.

Die traurige Wahrheit, die sich in diesem „Stammeln“ spiegelt, ist die Einsamkeit, in die ihn sein Schicksal unwiderruflich katapultierte. Niemand sieht und versteht ihn letztlich und er bleibt ein Gezeichneter sein Leben lang. „Einen Tag ohne Angst hat es nicht gegeben“. Ich lese dies so, dass letztlich die Angst nicht nur für die Zeit im KZ lebte, sondern mindestens unterschwellig das Grundgefühl Tag für Tag bleibt bis zu seinem Tod.

Mich berührt die Schilderung seiner Sprachfindung mittels seines Buches „UNVERGESSEN. EIN SARNER ERZÄHLT“„Ich habe stundenlang an der Werkbank geschrieben….. Oft bis in die Nacht hinein. Für einen Satz habe ich manchmal eine Stunde gebraucht, damit er das aussagt, was ich wollte. Meine Schrift ist winzig klein …. Einige Jahre habe ich dafür gebraucht….“ Welch ein gigantischer Befreiungsversuch!!! – Welche gigantische Widerstände!!!! „Mir ging es darum, die Wahrheit über diese Zeit zu erzählen. Das hat es gebraucht, damit es nie wieder passiert.“ 

Es berührt mich tief, diesen Befreiungsakt zu spüren und gleichzeitig auch zu sehen, wie die Befreiung letztlich massiv an die eigenen inneren und äussern Grenzen stösst. Denn die alten Nazis wollten nichts davon wissen, aber auch viele „Normale“ meinten, man müsse endlich mit den alten Sachen aufhören und vergessen.

So lese ich denn auch mit zwiespältigem Herzen die Informationen, wie Franz Thaler in seiner Umwelt Bozen als „Ehrenbürger-Sonderling“ seinen Platz besetzte: In der Tracht als Sarner!! Und mit dem Bürgermeister ist er ein guter Kollege. Aber in seinem Dorf wollte niemand etwas hören von seinen „Geschichten“ So blieb ihm nichts anderes übrig, als aufzuschreiben, was er im Konzentrationslager Dachau erlebt hatte – obwohl er nie eine deutsche Schule besucht hatte .

Erst mit dem Aufschreiben „hat es richtig angefangen“, bis dahin musste er alles allein mit sich herumtragen, nicht einmal seine eigene Frau wusste es. Seine eigenen Kinder – was für ein Glück!! – waren es, die wissen wollten, was er erlebt hatte. Und sie halfen mit ihrer Wissbegier am Schicksal ihres Vaters, diesem zu seiner Befreiung.

Gemessen an den historischen und sozialen Ungeheuerlichkeiten, die ihm schicksalshaft passierten, ist dies ein bescheidenes individuelles Glück, welches ihm ermöglichte, zu verzeihen, Frieden zu schliessen. Es ist die tragische Realität des Opferschicksals, im Leben die Möglichkeit der Entscheidung über sein Leben total verloren zu haben.

Voller Ehrfurcht verstehe ich darum auch Franz Thalers Schlusssatz im Interview mit Heinrich Schwazer: „ Das was ich meinen Kindern immer gesagt habe. Dass sie selber denken und niemandem nachlaufen sollen.“ Mit diesem Satz erschliesst sich mir Franz Thalers Leben nicht einfach als „Opferschicksal“ sondern als unglaublich kraftvolles und mutiges „Widerständlerkämpfertum“.

Ich verneige mich vor diesem grossen kleinen Mann, dessen Demut so verführerisch meine „Hochmut“ reizte und der mich letztlich beschämt und sehr nachdenklich zurück lässt.

Interview_Franz Thaler

Kurzer Nachtrag zu „Unvergessen“

Die Lektüre des berührenden Interviews mit Franz Thaler in der TAGESZEITUNG liess mich – als Nicht-Südtiroler und als Noch-nicht-Leser“ seines Buches „Unvergessen“ betroffen und mit vielen Fragen zurück. Was war die grosse und beispielhafte Lebensleistung dieses offenbar grenzenlos leidensfähigen Mannes? Was war aus seiner ganz persönlichen Sicht – eines „ungebildeten“ Südtiroler Bauernbuben – das Schmerzvollste, das Elendeste an dem, was ihm widerfahren war? Wie kam er zur so klaren Erkenntnis des Unterschiedes zwischen „Verzeihen“ und „Vergessen“? Warum war das Vergessen so wichtig, so gewichtig in seiner Lebensumwelt?

Ich kaufte mir das Buch – erschienen 1988 – , welches im Raetia-Verlag seit 1999 als Teil des fixen Verlagsprogramms, und empfohlen als Schullektüre, auch im Schweizer Buchhandel ohne Probleme erhältlich ist. Die Aufmachung in kartoniertem Umschlag, das klare und grosse Schriftbild, die eindrücklichen Zeichnungen, die wenigen sorgfältig editierten Fotos und die behutsam ausgewählten Briefe an den Autor, wie auch die unaufgeblasenen Kommentare des Herausgebers und des Historikers, luden mich zur Lektüre ein.

Die eindringlich auf das erlebte Schreckensschicksal Franz Thalers fokussierte Schilderung in ihrer einfachen ehrlichen Sprache erreichte mein Herz und erschütterte mich. Was für eine Unschuld! Was für ein Schmerz! Was für ein Grossmut! Diesem bescheidenen Sarner Bauernbub gelang es, mich die ganze grauenhafte Realität der Nazi-Menschenverachtung in tiefer Betroffenheit nachleben zu lassen.

Noch klarer kann ich nach der Lektüre Thalers wichtigen Schritt der Zivilcourage, vor allem nach Ende des Krieges, heute erkennen und bewundern: Er hält unserer Gesellschaft den Spiegel vor und zeigt uns, dass die Gewalt und der Hass immer gegenwärtig sind und dass sie alle Tricks und Methoden kennen, sich zu verbergen, um die Andern zu den Schuldigen zu erklären.

Eindrücklich zeigt dies uns Franz Thaler in der Schilderung, wie innert kurzer Zeit das von den Opfern für die Opfer erstellte Denkmal zum „Heldendenkmal“ wird und wie die eigentlichen Opfer (die mutigen Verweigerer) zu den“ Verrätern“ werden.

„Nur die ganz Tapferen, die bis zuletzt für den Führer treu gekämpft hatten, durften vor dem Kriegerdenkmal als „Helden“ auftreten… da hatten wir „Kriegsverbrecher“ und Kriegsverräter, wie man uns nannte, nichts mehr zu suchen…“

Die – durch dieses Buch vermittelte – glaubhafte Friedensbotschaft des Autors, sich auch dadurch nicht zum Hass und zur Rache aufstacheln zu lassen, überwältigt und ermutigt mich zu tiefst.

„Wir standen während der Feier irgendwo unterm Volke und beteten für unsere Kameraden, denn das konnte uns niemand verwehren.“

 

Hier das erwähnte Buch:

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