Heute, am 28. Februar 2016 fühle ich mich nach einem spannenden Abstimmungs- und Wahlsonntag in einer ambivalenten Stimmung. Ich habe mich auf verschiedenen Ebenen intensiv gegen die „Durchsetzungsinitiative“ der SVP und auch gegen die fünfte Tunnelröhre (die „Entlastungsröhre“) durch den Gotthard engagiert. Vor drei Wochen schien es noch so, als ob ich bei beiden Abstimmungen hoffnungslos zu den Verlieren gehören würde.
Beide Themen waren für mich und für unsere ganze Gesellschaft emotional extrem aufgeladen und spalteten uns tief in zwei feindliche Lager. Voller Misstrauen und Angst trauten wir „denen“ nicht mehr über den Weg und verachteten sie sogar wegen ihrer „abwegigen, destruktiven, feindseligen“ Einstellung. Ihre Argumente waren für uns von vorneherein falsch und unredlich.
Als die Resultate der ersten Umfrage veröffentlicht wurden, bereitete sich Hoffnungslosigkeit, Aggression und Resignation bei uns aus. „Wieder einmal mehr werden wir zu den VerlierInnen gehören!!“; „Es hat ja gar keinen Sinn, überhaupt noch zu kämpfen, Leserbriefe zu schreiben, zu diskutieren und zu argumentieren: Die hören ja sowieso nicht zu!!“ Die Gefahr, zu verstummen, die Faust im Sack zu machen und verbittert über die „Scheissschweiz, Scheissdemokratie“ auszurufen, war virulent.
Nachdem vor drei Wochen die Ergebnisse der zweiten Umfrage zeigten, dass sich die Zustimmungsquote bei beiden Themen massiv reduziert hatte, geschah etwas – auch in mir – was ich, im Einklang mit vielen KommentatorInnen, als das „Wunder des Zivilgesellschafts-Erwachens“ benennen will. Tausende Frauen und Männer, jung und älter, wurden elektrisiert vom Gedanken, dass es auf „Mich“ ankommt und dass unser individuelles Engagement bei entsprechender Vernetzung sich zu einem kraftvollen Energie- und Aktivitätsstrom bündeln könnte, um damit die bedrohlichen Abstimmungsvorlagen erfolgreich zu bekämpfen.
Nach zwei Wochen „Energiestrom“, der mich inspirierte, wie seit langem kein politischer Kampf mehr, sind heute Abend die Ergebnisse klar: Die Durchsetzungsinitiative ist von den meisten Kantonen – ausser UR, TI, NW, OW, SZ, AI – abgelehnt worden und die „Entlastungsröhre Nr.5“ ist von allen Kantonen – inklusive Uri – angenommen worden.
Gehöre ich nun zu den Siegern oder den Verlierern dieser politischen Auseinandersetzung? Habe ich als Bürger und Bewohner des Kantons Uri, der Schweiz, Europas, gewonnen oder verloren?
Mein Gefühl zeigt es mir und mein Verstand bestätigt es mir: Ich habe das Glück, in einer offenen Demokratie den Prozess der Meinungsbildung und der Entscheidung exemplarisch durchgelitten und durchgelebt zu haben und ich fühle mich nicht als Sieger oder Verlierer. Ich akzeptiere in Respekt die Entscheidungen und bin bereit und offen für alle notwendigen zukünftigen demokratischen Auseinandersetzungen.
Was für ein Sieg!!