Alle Beiträge von Karl Aschwanden

WAS FÜR EINE HINTERHÄLTIGKEIT!

 

Im Urner Wochenblatt vom 17. August entnehme ich einer Medienmitteilung der Jungen SVP Uri, Frau Regierungsrätin Bär sei offensichtlich bei „Machenschaften“ ertappt worden, die laufend an die Öffentlichkeit kämen (z.B. BaZ online vom 12. August: „Im Urner Regierungsamt gescheitert“).

Die Parteigruppe verlangt nun von der Politikerin mehr Transparenz. Falls weitere Projekte für die Beherbergung Asylbewerbender geplant seien, müsse dies sofort publik gemacht werden. Barbara Bär habe ihre Konsequenzen aus dem Desaster zu ziehen.

Diesen feindseligen Text lese ich im Zusammenhang mit der ganzen „Seelisberger“-Berichterstattung: In Absprache mit den Gemeindebehörden wollten die verantwortlichen kantonalen AmtsträgerInnen die Bevölkerung über Pläne informieren, in einem Seelisberger Hotel Asylbewerber (maximal 60 Personen) unterzubringen. Von Anfang an bestand keine Bereitschaft seelisbergerseits zum Gespräch: Die Kantonsvertreter und vor allem die Regierungsrätin Bär wurden – auch von Amtsträgern der Gemeinde – zusammengebrüllt und am Sprechen gehindert, so dass schliesslich die Veranstaltung abgebrochen werden musste. Ein sogenannter „Runder Tisch“ soll nun das Gespräch zu einer„Vernünftigen Asyllösung“ wieder aufnehmen.

Dass nun für das Desaster dieser unwürdigen Veranstaltung einfach die Kantonale Verantwortliche für Asylfragen, Frau Regierungsrätin Bär, verantwortlich gemacht wird, ist skandalös. Wie jedoch die Medienmitteilung der Jungen SVP uns den Hinweis gibt, geht es hier überhaupt nicht um Sachpolitik, sondern um Personen und Parteipolitik. Und die hat jetzt das neue Label „Vernünftigen Asyllösung“ vereinnahmt. Es lebe die Vernunft!!

DER KANTON URI WIRD BIS 2045 ZUM ALTERSHEIM

 

Im „Tages-Anzeiger“ vom 13.Mai 2016 lese ich den auf einer ganzen Zeitungsseite ausführlich präsentierten Artikel: „In vielen Kantonen wird sich die Zahl der Rentner mehr als verdoppeln“. In aussagekräftigen und eindrücklichen Karten und Listen wird dargestellt, wie sich innerhalb der nächsten 30 Jahre die Bevölkerungssituation in der gesamten Schweiz radikal verändern wird. Die Bevölkerung der Schweiz wächst um 22% auf 10,2 Millionen, wobei sich die Kantone markant unterschiedlich entwickeln: Zürich legt um mehr als 25 Prozent zu, während Uri sogar 1% der EinwohnerInnen verliert. 2045 wird der Anteil der Rentner in meinem Heimatkanton mehr als einen Drittel ausmachen, nämlich 34 Prozent.

Mir wird schwindlig, wenn ich überlege, was dies für die Lebensrealität in unserem Bergkanton bedeuten kann:

  • Die Bevölkerung stagniert: weiterhin leben 35’000 Urner im Gotthardkanton,.
  • Davon sind 80% mehr UrnerInnen über 65 Jahren als heute
  • Dafür erarbeiten 20% weniger Menschen zwischen 20-64 Jahren den Lebensunterhalt.
  • Und 20% Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren, unsere Zukunft, fehlen uns.

Laut „Urner Wochenblatt“ beläuft sich dann der Altersquotient (Er ergibt sich aus dem quantitativen Verhältnis zwischen den über 64-Jährigen und den 20- bis 64-Jährigen) auf über 60. Uri wird dann definitiv zu einem überalterten und finanzschwachen Siedlungsgebiet innerhalb der Schweiz verkommen. Attraktive Arbeitsplätze, gute Schulen, kulturelles Angebot und Vielfalt verkümmern. Wir werden zur Gemeinschaft, die sich zunehmend um die Senioren kümmert, ein Altersheim

KURZER KOMMENTAR und DOKUMENTE ZU OBIGEM TEXT:
Interessant ist, wie das URNER WOCHENBLATT meiner Meinung nach das ganze Theme verharmlost. Z.B. wird geschrieben, dass „in Uri die Bevölkerung relativ stabil bleibe“. Dieser Satz hat mich aufgeweckt und auch verärgert. und so habe ich versucht, diese „relative Stabilität“ durch die „reale Prognose“ zu entlarven und dadurch das Problem, welches auf unsere Heimat zukommt beim Namen zu nennen: Relativ stabil ist die dramatische Veränderung in richtung totalter Überalterung, was wirtschaftlich, sozial und kulturell nur noch als Katastrophe bezeichnet werden kann.
Hier sind noch die beiden Dokumente, auf die ich mich in meinem Text beziehe:

VOM KRIEG ZUM GEFÄNGNIS: 3000 GESTRANDETE IN PIRÄUS

Ich habe heute im Radio SRF 1 das Gespräch mit zwei VertreterInnen freiwilliger Hilfsorganisationen gehört und bin total aufgewühlt und auch entsetzt.

In Piräus und in ganz Griechenland sind Tausende von Flüchtlingen gestrandet. Sie werden eingesperrt unter skandalösen Bedingungen, weil Griechenland pleite ist und die EU nur Grenzen schliessen will und dabei überhaupt nicht daran denkt, wie diese Flüchtlinge überleben könnten. Die Polizei und die Armee schiessen mit Tränengas und Gummischrot auf die Leute, wenn sie sich verzweifelt retten wollen. Dreihundert und mehr Verletzte müssen medizinisch zusätzlich gepflegt werden.

Essen wird von einer idealistischen Basler Hilfsorganisation „be aware and Share“ des jungen Idealisten Bastian Seelhofer verteilt. 50 Cents stehen pro Person und Mahlzeit zur Verfügung. http://www.baas-schweiz.ch  Viele Freiwillige arbeiten 2 Wochen und mehr in ihrer Freizeit mit und sorgen dafür, dass wenigstens etwas Menschlichkeit spürbar wird.

Ich habe gedacht: Warum sind in meinem Umfeld nicht viel viel mehr Junge, Erwachsene, Senioren, Frauen und Männer unterwegs, um wenigstens mit ihrer eigenen Präsenz und Arbeitskraft diesen Menschen zu beweisen, dass Europa nicht eine Menschen verachtende Egoisten-Festung ist, die nur an ihrem eigenen Wohlstand und ihrer eigenen Ruhe interessiert ist.

Ich rufe alle auf, jetzt etwas zu TUN, denn jetzt geschieht das Unmenschliche und JETZT zerstören wir unsere Zukunft. Leider kann ich nur von zu Hause aus meinen Beitrag leisten und alles unterstützen, was dem Ziel der Stärkung der Menschlichkeit hilft.

Ich empfehle euch, den untenstehenden link zu öffnen und das Tagesgespräch SRF 1 von heute, 11.April, anzuhören.

http://www.srf.ch/news/international/tagesgespraech-aus-piraeus-3000-fluechtlinge-harren-im-hafen-aus

Unser Demokratieverständnis

Nun ist es also klar: Heute wurde uns per Post der Werbeprospekt für den zweiten Teil der Regierungsratswahlen zugestellt. Für die Vertreterin der SVP und den (dritten) Kandidaten der FDP wirbt ein Briefumschlag mit den Portraitfotos der Beiden und als Dienstleistung entnehme ich dem Umschlag drei mit den beiden Namen ausgefüllte Stimmzettel.

Mit diesem Akt der Ignoranz und der Dominanz wird mir einmal mehr deutlich gemacht, wie  ich mich – zusammen mit einigen wenigen grünen oder linken Frauen und Männern – hier im Kanton Uri in der Minderheit befinde.

Nachdem unser Kanton die unsägliche „Ausschaffungsinitiative“ am 28. Februar angenommen hat und nachdem wir uns vom Propagandatrommelfeuer der Baulobby auch auf die Befürworterseite zur fünften Gotthardröhre locken liessen, war bestätigt, dass Uri politisch und kulturell zum unbedarften, rückständigen und reaktiven Teil der Schweiz gehört.

Der französische Name für die Zentralschweiz bekam aktuelle Bedeutung für mich, komme ich mir doch besonders in Haltungsfragen oft in einer andern Welt, der „Suisse primitive“ vor.

Das Resultat der Kantonsparlamentswahlen bildet die erdrückende Dominanz der Bürgerlichen deutlich ab: 55 zu 9. Nun steht noch der letzte Schritt der Exekutivwahlen an: Es sind 7 Regierungsratssitze zu besetzen, 5 (davon 2 Frauen) sind bereits bürgerlich vergeben, zwei werden am 10.April gewählt.

Wie nicht anders zu erwarten, hat sich die FDP, welche bereits 2 Sitze eroberte, mit der SVP verbündet und ein „Zweierpäckli“ geschnürt. Die klare Absicht und der deutliche Wille ist also die totale bürgerliche Regierung, welche die Minderheit ausschliesst.

Dies ist eine klare Absage an jene Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich konstruktiv und aktiv auch mit ihrer Minderheitenmeinung einbringen und unser Gemeinwesen mitgestalten wollen.

Wie will dieses Gemeinwesen glaubwürdig den integrativen Bildungsauftrag, oder die Integration von Flüchtlingen verwirklichen!

Wir werden nur allzu schnell all die Spar- und Ausschlusspostulate – Luzern, Schwyz, etc. machen es vor – vernehmen und mit Abscheu erleben, wie das soziale Klima auch in Uri immer kälter wird.

Das Selbstverständnis unserer Demokratie lautet eben: „Uri, Wiege der Schweizer Demokratie, du gehörst uns, der Mehrheit!!“

Ein politischer Sieg, eine politische Niederlage?

 

Heute, am 28. Februar 2016 fühle ich mich nach einem spannenden Abstimmungs- und Wahlsonntag in einer ambivalenten Stimmung. Ich habe mich auf verschiedenen Ebenen intensiv gegen die „Durchsetzungsinitiative“ der SVP und auch gegen die fünfte Tunnelröhre (die „Entlastungsröhre“) durch den Gotthard engagiert. Vor drei Wochen schien es noch so, als ob ich bei beiden Abstimmungen hoffnungslos zu den Verlieren gehören würde.

Beide Themen waren für mich und für unsere ganze Gesellschaft emotional extrem aufgeladen und spalteten uns tief in zwei feindliche Lager. Voller Misstrauen und Angst trauten wir „denen“ nicht mehr über den Weg und verachteten sie sogar wegen ihrer „abwegigen, destruktiven, feindseligen“ Einstellung. Ihre Argumente waren für uns von vorneherein falsch und unredlich.

Als die Resultate der ersten Umfrage veröffentlicht wurden, bereitete sich Hoffnungslosigkeit, Aggression und Resignation bei uns aus. „Wieder einmal mehr werden wir zu den VerlierInnen gehören!!“; „Es hat ja gar keinen Sinn, überhaupt noch zu kämpfen, Leserbriefe zu schreiben, zu diskutieren und zu argumentieren: Die hören ja sowieso nicht zu!!“ Die Gefahr, zu verstummen, die Faust im Sack zu machen und verbittert über die „Scheissschweiz, Scheissdemokratie“ auszurufen, war virulent.

Nachdem vor drei Wochen die Ergebnisse der zweiten Umfrage zeigten, dass sich die Zustimmungsquote bei beiden Themen massiv reduziert hatte, geschah etwas – auch in mir – was ich, im Einklang mit vielen KommentatorInnen, als das „Wunder des Zivilgesellschafts-Erwachens“ benennen will. Tausende Frauen und Männer, jung und älter, wurden elektrisiert vom Gedanken, dass es auf „Mich“ ankommt und dass unser individuelles Engagement bei entsprechender Vernetzung sich zu einem kraftvollen Energie- und Aktivitätsstrom bündeln könnte, um damit die bedrohlichen Abstimmungsvorlagen erfolgreich zu bekämpfen.

Nach zwei Wochen „Energiestrom“, der mich inspirierte, wie seit langem kein politischer Kampf mehr, sind heute Abend die Ergebnisse klar: Die Durchsetzungsinitiative ist von den meisten Kantonen – ausser UR, TI, NW, OW, SZ, AI – abgelehnt worden und die „Entlastungsröhre Nr.5“ ist von allen Kantonen – inklusive Uri – angenommen worden.

Gehöre ich nun zu den Siegern oder den Verlierern dieser politischen Auseinandersetzung? Habe ich als Bürger und Bewohner des Kantons Uri, der Schweiz, Europas, gewonnen oder verloren?

Mein Gefühl zeigt es mir und mein Verstand bestätigt es mir: Ich habe das Glück, in einer offenen Demokratie den Prozess der Meinungsbildung und der Entscheidung exemplarisch durchgelitten und durchgelebt zu haben und ich fühle mich nicht als Sieger oder Verlierer. Ich akzeptiere in Respekt die Entscheidungen und bin bereit und offen für alle notwendigen zukünftigen demokratischen Auseinandersetzungen.

Was für ein Sieg!!

 

Deutsche Schlachthöfe produzieren mehr Fleisch als je zuvor

Das ist doch eine positive Nachricht: Unsere Nachbarn müssen keine Angst haben, ZwangsvegetarierInnen zu werden. Fleisch essen ist doch ein Zeichen des Wohlstands und der Zufriedenheit. Vor allem, wenn dann dieses Nahrungsmittel noch so preiswert ist.

Wenn ich nun die Informationen aus der Presse genauer betrachte, beginne ich zu staunen und meine Einschätzung verändert sich massiv:

Grund für die Rekordmenge ist die riesige Nachfrage aus dem Ausland. Drei Viertel des Schweinefleischexportes gehen in die Nachbarländer, während die Nachfrage in Deutschland zurückgeht.

„Dieser Rekord ist kein Zeichen von Wohlstand, sondern ein Armutszeugnis“, kritisierte die Umweltorganisation Greenpeace. Deutschland erzeuge mit großem Energieaufwand, Futterimporten aus Übersee und Massentierhaltung gewaltige Überschüsse, um sie auf dem Weltmarkt anzubieten.

Logischerweise soll die Schweinemast mittelfristig ausgeweitet werden. Seit 2012 wurden in Deutschland 420’000 neue Mastplätze beantragt.

SPIEGEL online

Gewalt und Geschlecht in Uri

Ich hab mich  mit einer absolut interessanten geschichtlichen Dissertation befasst: Claudia Töngi „Um Leib und Leben“ Gewalt, Konflikt, Geschlecht im Uri des 19. Jahrhunderts.

Es ist dies die 450-seitige Geschichts-Dissertation aus dem Jahre 2004 der heutigen Abteilungsleiterin „Forschung und Doktorat“ an der Uni Basel. ich habe das anspruchsvolle Buch vor ca 3 Jahren schon einmal durchgeschaut, es hat jedoch durch die heutige politische Situation, nämlich der Konfrontation mit der muslimischen Kultur der patriarchalen Geschlechterverhältnisse, neue und beklemmende Aktualität behalten.

Immer mehr kommt es mir dabei nahe, dass im 19. Jahrhundert in der einfachen Beziehung zwischen Frau und Mann genau alle die Mechanismen lebendig und aktiv waren, wie wir Europäer sie bei den muslimischen Familien mit Erschrecken feststellen.

Haupterkenntnis: Bisher sind im Kulturraum Uri zum Thema Familiärer Gewalt und Konflikte fast keine nennenswerten Forschungen getrieben worden. Die meisten umfassenden und kompetenten Arbeiten (Vor allem von Männern) befassen sich mit Machtthemen der herrschenden Schicht der Urner Gesellschaft und das sind in dieser Kolonialmacht die Händler, die Reisläufer, die Statthalter, die Politiker und die Pfaffen. Die Archive sind zu diesen Themen auch bestens gefüllt und nachgeführt und die Inventare der Kunst- und Baudenkmäler sind eindrücklich und ausnahmslos herrschaftsorientiert.

Diese riesige, umfassende und bewundernswerte Arbeit holt nun aus den Archiven der Gerichte und der Bischöflichen und Pfarramtlichen Kommissariate eine andere – bedrückende und erdrückende Realität hervor: Den Alltag einfacher Familienfrauen, unverheirateter Mütter, von Witwen und jener von kinderlosen Mägden und jungen Frauen. Die Unterlagen sämtlicher Prozesse zum Thema innerfamiliärer Beziehungen, sexueller Macht und Erniedrigung der Frauen sind vollständig erhalten und dank der speziellen Art der gerichtlichen Vorgehensweisen und Vorgaben auch exzellent formuliert, so dass diese ganze Dissertation exemplarisch Beispielfälle selber durch die Protokolle in der „Direkten Rede“ für sich sprechen lassen kann. Dies gibt der Arbeit eine beklemmende und fast betörende Form und ich kann kaum mehr aufhören mit der Lektüre, die sich auch durch diese besondere Form mir inhaltlich nachhaltig einprägt.

Fazit: In dieser Gesellschaft gab es zwei Alternativen: „Verführung“ oder „Vergewaltigung“. Das ganze System war so ausgelegt, dass ein höher gestellter Mann niemals verurteilt wurde, eine Frau vergewaltigt zu haben: Immer war sie am Schluss jene, die ihn verführt hatte. Ein niedriggestellter Mann wurde jedoch problemlos der Vergewaltigung bezichtigt nach dem Schema „Der Unheimliche im Dunklen Wald“. Solange es keine Toten gab, wurden alle diese Gewaltvorfälle – und solche sind viele belegt – als Bagatellen mit Geldstrafen, bis ca 1850 mit Prügel und Pranger, und mit Gefängnis bestraft. Mir graut immer noch, wenn ich das Thema an mich heranlasse.

JOHANNA GÜNDEL: MUTIGER + ERFOLGREICHER EINSATZ FÜR EINE MENSCHENFREUNDLICHE GEMEINDE

Solche Nachrichten tun einfach gut und ermutigen uns, an die Veränderungskraft unserer Einzelinitiativen und -aktivitäten zu glauben!

Der Gemeindepräsident der Aargauer Gemeinde  Andreas Glarner wollte, mit Hilfe der offensichtlich reichlich im Überfluss vorhandenen Steuergelder, seine Gemeinde „Flüchtlingsfrei“ kaufen. 290’000 Franken Ersatzzahlung budgetierte er und liess jedes leer stehende Gebäude abreissen, damit ganz sicher kein Platz zu haben wäre.

Die 24 jährige Opponentin und Wortführerin Johanna Gündel gewann die hochemotionale Abstimmung an der Gemeindeversammlung zu Gunsten der Flüchtlinge und erbrachte damit den Beweis, dass „Oberwil-Lieli keine herzlose Gemeinde“ ist.

Mich beflügelt diese Nachricht, weiterhin hartnäckig den Einsatz für die Benachteiligten, die Randständigen weiterzuführen und vor allem auch nicht zu schweigen.

Hier der Artikel im Tagesanzeiger:

Das Herz von Oberwil-Lieli – Schweiz: Standard – tagesanzeiger.ch

Herr Glarner scheint es nicht zu verkraften, dass in einer Demokratie auch andere Meinungen Platz haben müssen und dass niemand einfach über alle Andersdenkenden verfügen kann: Hier der Link zur Replik

Was fürchtet Herr Glarner? – tagesanzeiger

 

Ein ausführlicher Bericht in der WOZ vom 24.3.2016:

Die Entzauberung des Dorfkönigs – woz16_12 Johanna Gündel

DROHNENKRIEGER SIND ANONYME SPRENGSTOFFATTENTÄTER

Brandon Bryant, ehrenvoll entlassener „Drohnenoperateur“ der amerikanischen Armee, erhielt ein Zeugnisdokument  über seine Beteiligung an insgesamt 1626 Tötungen. Darüber und über seinen gesamten „Kriegseinsatz“ ist Brandon unglücklich.

Zusammen mit drei andern Ex-Soldaten schickte er einen Brief ans Weisse Haus, worin sie Drohnentötungen als „Werkzeug“ in den Händen rekrutierender Terroristen bezeichneten. Besonders der Abschuss von Zivilisten nähre „Gefühle des Hasses, welche Terror und Gruppen wie den IS entzünden“

Gerade jetzt, da uns stündlich Nachrichten über die Auswirkungen der Terroranschläge in Paris überschwemmen, kann ich diesen Bericht im Tages Anzeiger nur mit Betroffenheit und Empörung lesen und fragen: Wo ist da letztlich der Unterschied??!!

Ein reuiger Drohnenpilot – News International: Amerika – tagesanzeiger.ch

Katzenmachoautor (1989) als Pegidareferent (2015)

Bei seinem Erscheinen 1989 war der Katzenkrimi „Felidae“ von AKIF PIRINCCI für mich eine Entdeckung. Die Idee, eine kaputte Welt aus der Sicht des ebenso kaputten Macho-Katers Francis darzustellen und vor allem uns Männern damit einen Spiegel vorzuhalten, faszinierte mich. Ich fand den Krimi spannend und geeignet, in meiner Bibliothek „Patriarchatskritische Männerliteratur“ (A040) zur Auseinandersetzung einzuladen.

Der Roman regte auch feministische Autorinnen zu Stellungnahmen und Kritik an. Stellvertretend die Meinung von EMMA: Pirinçci hat sich mit den Felidae-Romanen „sensibel in die Katzenseele“ eingefühlt, es mangelt ihm jedoch an Empathie für Frauen.

Seit Oktober 2015 bin ich nun mit einem ganz andern AKIF PIRINCCI konfrontiert. Zum Jahrestag der PEGIDA-Demonstrationen am 19. Oktober 2015 in Dresden trat er als „Stargast“ auf. Seit dieser Rede ist Pirinçci nicht mehr der Krimiautor sondern der „KZ-Redner“

Der Wortlaut des extremsten Teils seiner Rede: „Offenkundig scheint man bei der Macht [konkret bezogen auf einen namentlich genannten, für Flüchtlingsunterbringung zuständigen Regierungspräsidenten] die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. [Pause, Beifall vom Publikum, „Widerstand“-Rufe] Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb. [Beifall vom Publikum]

Pirinçci bezeichnete in seiner Rede Politiker außerdem als „Gauleiter gegen das eigene Volk“, das heutige Deutschland als „Scheißstaat“ und Asylbewerberinnen als „flüchtende Schlampen“. Muslime würden „Ungläubige mit ihrem Moslemsaft vollpumpen“, es drohe eine „Moslemmüllhalde“ in Deutschland. Bündnis 90/Die Grünen nannte er eine „Kinderfickerpartei“ und den Sprecher der Erfurter Moschee einen „Moslemfritzen mit Talibanbart“, der mit der deutschen Kultur so viel gemein habe „wie mein Arschloch mit Parfümherstellung“.

 Was ist mit diesem Mann los: Ein äusserst erfolgreicher Krimischriftsteller, als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus der Türkei eingewandert und offensichtlich ein erfolgreiches Beispiel gelungener Integration, entpuppt sich als Hass-Schreier ausser Kontrolle!?

Im SPIEGEL 46-2015 versucht Jan Fleischhauer dieser Frage nachzugehen und die irritierende Selbstzerstörung eines Mannes einfühlsam zu beschreiben. Ich lese diesen hervorragenden Artikel mit grossem Respekt und Gewinn und bin betroffen über die destruktiven Folgen verdrängter und überspielter Verletzungen im Leben eines Mitmenschen. Bezeichnenderweise trägt der Beitrag den Titel „Der Aussätzige“ – Akif Pirinçci brachte es mit Katzenromanen zu Ruhm und Reichtum. Jetzt ist er nur noch der Autor mit der „KZ-Rede“. Wie konnte es so weit kommen? (Der Aussätzige – SPIEGEL2015_46 Akio Pirinçci)

Der Autor verfolgt die Entwicklung des jugendlichen Pirinçci zum „Berserker“ vom Oktober 2015: Der Junge, der mit seinen Eltern immigrierte, war fast ausschliesslich sich selbst überlassen. 12 Stunden am Tag waren beide Eltern fort, inklusive Samstag. Ein Schlüsselkind, welches irgendwie herausfinden musste, wie die fremde Welt um ihn herum funktionierte. Einziger Ausländer in der Klasse, von schmächtiger Gestalt, flüchtete Akif in die Welt der Bücher und Filme. Nur den Hauptschulabschluss schaffte er. Er fand einfach keine Zeit zu lernen, denn er musste schreiben. Mit 14 brachte er das Script eines Kurzfilms zum „Aussenseiterproblem“ beim Bayrischen Rundfunk unter; mit 16 gewann er für ein Hörspiel einen Preis des Hessischen Rundfunks und mit 20 war sein erster Roman auf dem Markt.

Mit seinen Felidae-Krimis wurde er berühmt und reich; mit Facebook, bei dem er vor 5 Jahren sein Profil zulegte, entdeckte er eine Wirkung seiner Beiträge, die er von seinen Büchern her nicht kannte: persönlich, direkt und sehr emotional. Aus dem Romanautor entwickelt sich der Berserker Pirinçci. Hier kann er ausprobieren, was funktioniert. Er lässt sich durch die Kommentare buchstäblich aufgeilen und er lernt, dass die Zustimmung wächst, je ordinärer und zotiger er auftritt.

Es macht ihm Spaß, Menschen zu provozieren, um zu sehen, wie sie reagieren. Dazu kommt ein ausgeprägtes Faible für das Drastische. Über eine Facebook-Freundin lässt sich Pirinçci für die folgenreiche Festrede überreden und seitdem ist alles anders: Er ist ein Ausgestossener: niemand will etwas mit ihm zu tun haben: Gastwirte verweigern seine Bewirtung; Buchverlage und Buchvertriebe nahmen seine Bücher vom Angebot. Als Autor existiert er nicht mehr.

Jedoch, Pirinçci ist nicht nur Ausgestossener, er ist auch Sündenbock einer selbstgerechten, überheblichen und selbstverleugnenden Gesellschaft. In dem man ihn vernichtet, ausgrenzt, vermeint man, sich nicht mit dem eigenen Anteil an Menschenverachtung, dem unterschwelligen Rassenhass und der Fremdenfeindlichkeit und letztlich der eigenen Angst vor dem Fremden, auseinandersetzen zu müssen.

Ich bin dem Autor Jan Fleischhauer dankbar für die sorgfältige Mikrostudie unserer Gesellschaft und den Spiegel, in dem wir viel zu selten bewusst uns selber anschauen.